Im Oktober hatte ich das Glück, in der Hamburgischen Staatsoper zur Premiere der beiden Einakter gehen zu können – die Karten waren rar, das Haus wirklich fast leer, ein Trauerspiel… Die Oper hat die Schutzmaßnahmen sehr ernst genommen, und im vierten Rang, Balkon, waren die Abstände der BesucherInnen riesig. Die Garderobe konnte man nicht abgeben, und die Toilettenräume durfte immer nur eine Person zur Zeit betreten. Es war beinahe gespenstisch, so leer war die Oper… Oh wie bitter für die Kunst und die KünstlerInnen! Und für uns, die uns die Kunst so fehlt… – und die wir doch so sehr brauchen!
„Pierrot lunaire“ von Arnold Schönberg, Regie und Animation: Luis August Krawen
„La voix humaine“ von Francis Poulenc, Szenische Einrichtung: Georges Delnon
Das Stück von Schönberg besteht aus der Vertonung eines Gedichtzyklus um einen mondsüchtigen Pierrot, der von verschiedenen Frauenstimmen gesungen wird. Der Regisseur hat sich dazu einen Film einfallen lassen, der sozusagen den Vortrag der Sängerinnen illustrierte. Eine Figur, nicht unähnlich der eines Auto-Crashtest-Dummys, bewegt sich durch eine mondähnliche Landschaft; in diesen Bildern ist keine Seele, auch nicht, wenn die Figur mit einer anderen eine Liebesgeschichte simuliert. Geschlecht spielt keine Rolle, auch wenn die Figuren mehr männlich als weiblich wirken. Zwischen der emotional aufgeladenen Musik mit den Frauenstimmen und den Bildern der entseelten Figuren in einer dystopischen Landschaft ist eine Spannung entstanden, die mir unbehaglich war – was eher als Kompliment gemeint ist, gerade weil bei mir dieses seltsame Gefühl entstanden ist… Die Musik würde sich besser durch mehrmaliges Hören erschließen.
Der zweite Einakter, „La voix humaine“ bildete einen Gegenpol dazu, denn hier liegen die Gefühle im Spiel der Sängerin: Eine Frau telefoniert mit ihrem Liebhaber, der jedoch vor kurzem Schluss mit ihr gemacht hat. Im Widerstreit mit ihren Gefühlen versucht sie ihm zu verheimlichen, was er doch ahnt: Nämlich, dass sie kreuzunglücklich ist. Hier also ging es um nichts anderes als Psychologie, die aus der Inszenierung des ersten Stücks ja komplett ausgemerzt wurde. Ich mochte diesen Einakter sehr, ebenfalls die Musik.
Akhnaten von Philipp Glass – Stream aus der Metropolitan Opera New York
Aus der Met sind ja jetzt während des Corona-Lockdowns regelmäßig Opernaufführungen im Stream zu sehen (hier geht’s zum Programm), und es ist schade, dass ich es eigentlich kaum schaffe, mir mal etwas davon anzusehen – so ein tolles Angebot! Dieses Stück hätte ich vorm Lockdown so gern im Kino gesehen, wo die Übertragung aus der Met ausgestrahlt wurde, doch klappte das nicht. Um so mehr habe ich mich über diese Gelegenheit gefreut und sie mir nun zuhause angesehen/-gehört. Es hat sich so sehr gelohnt!!!
Die Oper handelt von dem König Akhnaten (=Echnaton), der während seiner Herrschaft das Regierungssystem reformierte und versuchte, eine neue Religion einzuführen. Letztendlich scheiterte er. In der Oper werden einige Szenen aus seinem Leben szenisch dargestellt; es wird also keine Handlung erzählt, vielmehr ist es ein Essay, ein Portrait dieses visionären Staatsmannes.
Die Musik ist einfach nur magisch: In scheinbar ewig gleichförmigen, meist melodischen Kreisen wird eine beinahe meditative Stimmung erzeugt. Das Bühnenbild – eines der schönsten, die ich je gesehen habe – ist schlicht, dennoch wirkt es durch die anmutige Eleganz der agierenden SchauspielerInnen und SängerInnen sehr prunkvoll und strahlt eine ergreifende Atmosphäre aus. Und so bündelt sich die Kraft in der Musik und in einer atemberaubenden Ästhetik. Einer der Höhepunkte ist für mich die Szene von Akhnatens Krönung: Voller Erhabenheit steigt der neue Herrscher die Treppe zum Licht empor – einfach wunderschön! Und zudem toll gesungen vom Countertenor (ich liebe die Stimmlage des Countertenor!!!) Anthony Roth Constanzo. Diese Szene geht mir gar nicht mehr aus dem Kopf. Wie toll, dass die Aufführung erneut am 12. Februar (NY-Zeit, bei uns einen Tag später) ausgestrahlt wird. Ich will unbedingt wieder dabei sein!