Das NDR-Elbphilharmonie Orchester spielt Stücke von Charles Yves, Anna Thorvaldsdóttir, Haukur Tómasson und Igor Strawinsky; Dirigent Esa-Pekka Salonen

Veröffentlicht: 13. Februar 2017 in Isländisches, Konzerte, Kultur, Musik

Und dies war das ganze Programm im großen Saal der Elbphilharmonie:

Charles Ives: The unanswered question / Two contemplations Nr. 1 (1906)
Anna Thorvaldsdóttir: Aeriality (2011)
Haukur Tómasson: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 (Uraufführung)
Igor Strawinsky: L’oiseau de feu (Der Feuervogel) / Ballett in zwei Bildern mit Introduktion (1910)

Es ist ganz selbstverständlich, dass solche Stücke wie das von Charles Yves in einem so wundervollen Raum wie dem großen Saal der Elbphilharmonie einfach gespielt werden muss: Die Musiker haben sich auf die verschiedenen Ebenen innerhalb des Publikums verteilt, um genau zu sein, die Trompete, die die Fragen stellt, sowie die Geigen, die dem Dialog zwischen der Trompete und den antwortenden Holzblasinstrumenten – als einzige mit dem Dirigenten auf der Bühne verbleibend – einen unerschütterlichen Rahmen geben. Und so klingt der Saal, ist voller Musik, die einzelnen Standorte der Streichinstrumente vermag ich nicht auszumachen, und doch ist alles deutlich und klar zu hören. Die Geigen bilden einen mystisch wirkenden Grundton, der aber Halt gibt, wenn die Trompete 7 mal fragt, und die Holzbläser sich in Antworten versuchen, die von mal zu mal dissonanter klingen. Und sie tun es nur 6 mal. Die siebte Frage bleibt unbeantwortet, bleibt im Raum stehen, während die Streichinstrumente weitermachen. Es sind acht Minuten Musik, die es absolut in sich haben. Charles Yves hat es dem Dirigenten überlassen, wann die einzelnen Fragen und ihre Antworten über die ewigen Streicher gesetzt werden. Nur sollten die Streicher am Ende allein spielen, so die Vorgabe. Ein intensives Stück, das viel Raum für Interpretation und philosophischer Betrachtung lässt – toll!

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Anna Thorvaldsdóttir und Haukur Tómasson beim Einführungsgespräch

Anna Thorvaldsdóttirs Stück „Aeriality“ hatte ich mir schon auf Youtube angehört, um nicht unvorbereitet zu sein – am Ende war ich es doch: Denn so klar und deutlich setzen sich die einzelnen Musikinstrumente in dem (Klang-)Raum durch, wie es auf einem Video am heimischen Bildschirm nicht möglich ist.
Es ist schon merkwürdig: Bei isländischen Künstlern denkt man doch allemal zuerst an die großartige Natur des Landes, und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sehr viele isländische Künstler sich auch ihre Inspiration aus der Natur holen. Auch Anna kann davon nicht frei gewesen sein, wenn sie die Töne durch den Raum schickt wie eine bleierne Wolke, die doch bei näherem Hinhören gar nicht  homogen klingt – und die großartige Akustik setzt diesem Tribut: viele Einzelstimmen werden hörbar und transportieren sich. Die bleierne Wolke, die dann doch zu verfliegen und kurzfristig einem Sonnenstrahl Raum zu geben scheint… Der Titel Aeriality ist ein Wortspiel, vielleicht auch ein Hinweis, um diese Musik deuten zu können, die zunächst so düster daherkommt und sich dann ein Stück weit in Wohlgefallen auflöst. Anna Thorvaddottirs Musik hat mich so sehr an die großen Gemälde von Anna Gudjónsdóttir erinnert; ich sehe eine Verbindung zwischen der rätselhaften Verborgenheit einer Naturempfindung, die aber doch intensiv aus den Bildern spricht – und auch aus Anna Thorvaldsdóttirs Musik.

Das mit der Natur habe ich bei Haukur Tómassons 2. Klavierkonzert jedoch nicht in dem Maße herausgehört. Am Flügel saß übrigens Vigingur Olafsson (Jahrgang 1984!!), der sich in die hochabstrakte Gedankenwelt zeitgenössischer Musiker hineinzusetzen vermag – eine riesige Leistung! Die Töne zwischen Klavier und Orchester stehen in einem ständigen Dialog, bestehend aus vielen einzelnen Tönen und mehr oder eher weniger melodischen Versatzstücken, der mich eher an komplizierte mathematische Berechnungen erinnern lässt, als an Naturgewalten. Es ist ein toller Kontrast, der hier bei der Musikauswahl vorgenommen wurde: Die düster-bleierne Musik Annas gegenüber dem komplizierten und beinahe verspielten Gedankenspiel von Haukurs Komposition – beide großartig, beide so unterschiedlich! Auch dieses Stück habe ich sehr genossen.

Nach der Pause gibt es dann noch Strawinskys Feuervogel, der so ganz anders ist als das Stück von Charles Yves, obwohl doch beide im Abstand von drei Jahren – nämlich 1906 (Yves‘ Stück) – Yves war aber seinem Zeitgeist sehr weit voraus –  und 1910 – entstanden sind. Der Feuervogel ist ein tolles Stück, mit schillernden, beinahe verklärten Zügen, und dann wieder absolut wild und ungebändigt. Spätromantisch, halt. Herr Salonen hat auch dieses Stück mit viel Inspiration dirigiert, es war ganz großartig. Ich möchte so gern einmal diese Ballettmusik mit Tänzern sehen, ich muss mal schauen, vielleicht hat meine Hamburger Staatsoper das ja im Repertoire…

Im Anschluss an dieses unglaublich tolle Konzert, nach einiger Wartezeit und einem Freigetränk, um viertel vor 12 spielte im Rahmen des Island-Festivals, das ja diesen Februar in Hamburg stattfindet, noch Júníus Meyvant  aus seinem neuen Album »Floating Harmonies« auf. Es mag an vielerlei gelegen haben, dass mir dieses Konzert nicht zusagte. Zum einen war das andere Konzert mit diesen sehr ausdifferenzierten Tönen noch präsent. Wie soll da eine oder mehrere E-Gitarren gegenan kommen? Június ist ein Musiker der leisen Töne, mit seinen Brüdern und seinem Vater auf der Bühne kamen diese Jungs einfach nicht gegen die Aura eines ganzen Orchesters gegenan. Und ich will ja überhaupt nicht sagen, dass nicht auch Rock oder Pop in der Elphi gespielt werden sollten – aber diese Musik verlangte meiner Meinung nach nach einem anderen Rahmen, intimer, wo man dem Musiker nicht von hinten oben auf die ungekämmten Haare glotzt, sondern seine Mimik, überhaupt seine ganze Ausstrahlung viel näher mitbekommen kann. Ist meine Meinung. Und da ich eher gar nicht in Rockkonzerte gehe, ist es noch nicht mal eine fundierte…

junius

Eine dolle Bühnenschau, aber durch meine Perspektive von Bereich T1 auf der 16. Ebene hat sich die Musik nicht vermittelt

Spät ist es dadurch geworden, doch es war ein ganz besonderer Abend, von dem ich noch lange zehren werde. Tja, und die Elphi… die ist ein Thema für sich, die hier im Blog bald ihren eigenen Beitrag verdient.

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